Thursday 15 September 2011

Exposé

Gottfried Chen ist Austrochinese, innen weiß, außen gelb, Banane, Vater von 1, 2 und schließlich 3 Söhnen, Mathematiker, Informatiker, als Papa Pragmatiker. Jetzt auch Autor von 55.000 Wörtern auf der Suche nach einem Verlag.

Geschrieben hat er über seinen Alltag in der Väterkarenz. Gemeinsam mit seinen Söhnen Florian und Matthias geht er „Wieehahas schaun“ und „Hundstrümmerl“ suchen, veranstaltet Formel 1-Rennen zum Supermarkt, genießt die griechische Version des „Dschungelbuchs“, unterhält seine Kinder mit blinden Flugrobben und erklärt, warum es beim Heimwerken durchaus erwünscht ist „schirche“ Wörter zu verwenden. Zum Abschluss der Karenz macht die ganze Familie Chen noch einen Abstecher nach Paris. Eine romantische Woche in der Stadt der Liebe?

Als Chinese in Österreich erfüllt der Autor auch einen Bildungsauftrag. Die Leser erfahren, warum viele Asiaten Mutanten sind, aber als X-Men wenig erfolgreich wären, warum ein Chinese mit Vornamen ausgerechnet Gottfried heißt, warum es im Reich der Mitte keine Vampire gibt und Zungenküsse unbeliebt sind. Schließlich beantwortet er auch die brennende Frage, weshalb jeder Chinese sofort weiß, dass Eisbären auf dem Nordpol leben.

Aber nicht nur das. Er erklärt, wieso IKEA das GPS der Neuzeit ist, weshalb Kinder so spät wie möglich lesen lernen sollten, warum ein Gogerl die höchste Zahl ist, was Camping mit Benimm-Dich-Regeln zu tun hat, wieso Hühner am liebsten Cola Light trinken und warum die neue Rechtschreibung für Kabarettisten ein Segen ist.

Seine Gattin Heidrun Chen behält während der ganzen Zeit die Haushaltszügel fest in der Hand. Sie arbeitet als Ärztin im Spital, ist schwanger mit Sohn Nummer drei, gibt als geheimnisvolle M ihren Doppelnullen Geheimaufträge und schüttelt ab und zu ihren Kopf über „diese Männer“. Nebenbei beantwortet sie noch die Galileo-Frage „Wie viel Wasser passt jetzt tatsächlich in eine Windel?“

Ach und bevor ich es vergesse. Gegen Ende unserer Geschichte erblickt Sebastian das Licht des Kreissaals und bietet im furiosen Finale seinen Brüdern Verstärkung.

„So, und jetz is aus, mein Exposé.“

Tuesday 13 September 2011

Die Basti-Jahre

Sternzeit 06-08-08 nach Franz' Geburt. Mittlerweile sind wir zu fünft. Neuzugang Sebastian erhöht die Männerquote im mittleren Management auf drei. Die Musketiere sind komplett. Unten in der Kohlen-Grube ist es noch immer ausgeglichen, da schuften nach wie vor Frau Elter M und Herr Elter P.

An Florians Geburt kann ich mich noch gut erinnern. Wie aufgeregt wir damals waren. Würde alles gut gehen? Werde ich Heidrun eine Unterstützung sein? Wird sie starke Schmerzen haben? Wird es lange dauern? Dann nach der Geburt waren wir überwältigt von Glückshormonen. Ein Wunder der Natur, geschaffen aus unseren Genen. Der Beginn unserer Familie. Das schönste Erlebnis unseres Lebens. Tränen in den Augen, lächelten wir uns gegenseitig an. Friedlich nuckelte Florian an Heidruns Brust.

Im Kontrast dazu verlief Bastis Geburt eher unspektakulär. Wir kamen um 22 Uhr 30 beim Spital an. „Heidrun, gehst du schon mal rein, ich such noch schnell einen Parkplatz?“ 23 Uhr 20 „So, da ist er.“ Schnipp schnapp, Nabelschnur ab. Schnell waschen, abrubbeln, Foto „Cheeeese“. „Passt, dann hätt’ ma das erledigt. Na gut Schatz, du kennst dich eh aus. Ich fahr jetzt heim zu den Großen und hol dich morgen so gegen Mittag ab, ok?“ (Wer die Geburt eines zehnten Kindes sehen will, den verweise ich auf den Monty Python Klassiker „Every sperm is sacred“).

Beim dritten Kind ist man einfach viel erfahrener. Im Gegensatz zu Nummer eins bewundert man auch nicht mehr jedes einzelne Fingerle und Zechi. Unser Urteil war: Sebastian sah nach der Geburt seinen Brüdern zum Verwechseln ähnlich.

Aber das tun eigentlich alle Babys, nämlich verrunzelt und zerquetscht. Direkt nach dem Schlüpfen bekommen sie daher ein blaues Spitalsarmband mit ihren Daten verpasst. Wenn nicht, würden die meisten Eltern wohl ein Kuckuckskind heimtragen. (Hehe, wie naiv von mir. Eine befreundete Mutter hat mich aufgeklärt, dass es auch rosa Armbänder gibt.)

Als Omi und Basti einander zum ersten Mal sahen, klatschte sie entzückt die Hände zusammen und führte sein Aussehen auf das tolle Genmaterial zurück. „Mei, so süß, ganz der Papa.“ Überrascht horchte ich auf. Hallo, einen Moment! War das eine versteckte Beleidigung? Sollte das heißen, ich habe einen Eierschädel, Falten wie ein 70 Jähriger, keine Haare und werde bald Windeln brauchen? Auch Basti musterte mich sofort mit großen Augen von oben bis unten. Der dachte wohl: Soll das heißen, ich habe eine dicke Nase, Haare auf den Beinen, Schweißflecken unter den Achseln und gebe ständig unverständliche Laute von mir?

Von den Brüdern jubelt Matthias am meisten über den Neuankömmling. Sebastian katapultierte ihn vom letzten Platz zur Silbermedaille, beförderte ihn vom Nesthäkchen zum Nesthaken. Unangefochten auf Platz eins, Nestanker Florian.

Ansonsten ist Basti klein und pflegeleicht, so wie man es von Drittgeborenen gewohnt ist. Zur Unterhaltung parken wir ihn täglich acht Stunden in seiner Wippe vor den spielenden oder streitenden Brüdern. Er vergöttert seine privaten Dauer-Kabarettisten und fuchtelt wild mit seinen Fußis und Patschhandis herum. Manchmal entkommt ihm mit einem angedeuteten Lächeln ein gehauchtes „Ääääähhhhh“.

Routiniert wickeln wir ihn nur mehr umweltschonende dreimal am Tag statt der völlig überdimensionierten acht bis neun Wickelsessions bei Florian. Puder, Cremen und Markenwindeln wurden wegrationalisiert. Den Luxus leisten sich nur verhätschelte Erstgeborene.

Auch Erinnerungen halten wir sparsamer fest. Die Fotodichte betrug bei Florian noch circa 10 FPS (Fotos pro Stunde). Bei Basti verwenden wir die Einheit FPW (Fotos pro Woche). Ähnliches gilt fürs Filmmaterial. Bei Nummer eins filmten wir noch jeden Furz, jedes Bäuerchen. Der Director’s Cut von „Florian 0-6 Monate“ kann es locker mit „Vom Winde verweht“ aufnehmen. Bei Basti geht sich maximal eine Folge Simpsons aus.

Das klingt jetzt hart und unfair. Ist es aber nicht. Ein Briefmarkensammler freut sich auch mehr über eine blaue Mauritius als über eine Standard 55 Cent Marke vom Postamt, obwohl es davon Millionen gibt.

Zur Geburt jedes Buben schenkte uns Omi ein Babytagebuch. Florians erste Lebensjahre dokumentierte Heidrun noch voller Mutterliebe Tag für Tag mit lustigen Anekdoten. Sie klebte Fotos ein, das blaue Armband aus dem Spital und eine Haarlocke vom ersten Haarschnitt.

Matthias’ Tagebuch führte sie bereits deutlich sporadischer. Im praktischen Zweijahresrhythmus verfasste sie bisher zwei dafür umso längere Einträge. Armband klebt aber trotzdem drin. Die Haare stammen von Haarschnitt Nummer drei.

Auf Bastis Tagebuch passen wir besonders gut auf. Er ist ja auch etwas ganz Besonderes. Gut geschützt vor schädlichen Umwelteinflüssen lagert es bei konstant 25 Grad originalverschweißt im Abstellraum auf dem Dachboden. Das blaue Armband heben wir in der Küche behutsam irgendwo in der Bestecklade auf. Mit achtzehn Jahren werden wir zeremoniell sein Tagebuch auspacken ihm die Haare schneiden und hineinschreiben „Basti, Matura Juni, 2026“.

Nützlich ist Basti übrigens auch. Zusätzlich zum herumkugelnden Spielzeug verstärkt er als ohrenbetäubende Sirene unsere Hausalarmanlage. Nach einigen Probeläufen bestätigte uns ein Polizist, dass die Sirene zwei Straßen weiter in der nächsten Polizeiwache gut hörbar sei. (Beim nächsten Strandurlaub werden wir im Schwimmflügerl verpassen und als Heulboje vermieten.)

Übrigens, nur zwei Tage später und wir hätten Sebastian für Unsummen auf ebay versteigern können. Ein Baby mit Geburtsdatum 8.8.08 hätten garantiert viele Chinesen gerne adoptiert.

Karenzpapas Wissen des Tages: 8 ist „DIE“ Glückszahl in China und wird mit Erfolg und Reichtum gleichgesetzt. Deshalb begannen auch die olympischen Spiele in Peking am 8.8.08 um 8 Uhr 8.

Warum ich Gottfried heiße

Neben der Frage, warum ich keinen Alkohol trinke, sind viele mindestens genauso neugierig, warum ein Chinese Gottfried heißt. „Das ist aber kein typisch chinesischer Name, oder?“ Schlaumeier. Nur aus Höflichkeit verkneife ich mir Antworten wie „Na geh, net scho wieder. 100 Punkte für den Kandidaten“ oder „Wow Blitzkneisser. Sie sind ja ein echter Spezialist für Chinesische Kultur.“

Stattdessen dimme ich das Licht, bitte die Fragesteller Platz zu nehmen und erzähle dem gebannten Publikum wie Scheherazade zum 1001. Mal die Legende, die sich um meinen Namen rankt.

Der Grund ist in Wahrheit sehr banal. Meine Eltern waren praktisch denkende Menschen. Sie kamen zu dem Schluss: Wer in Österreich geboren wurde, braucht einen deutschen Vornamen. Das kann nur von Vorteil sein. (Nicht nur für mich, sondern vor allem für die armen Österreicher, die sonst meinen chinesischen Zungenbrecher-Vornamen Zhaowei aussprechen und sich merken müssten.)

Für die Aussprache alleine wäre ein heimischer Name aber gar nicht notwendig gewesen, stellten sie später fest Die gescheiten Österreicher haben nämlich vor langer Zeit bereits ein automatisches Dolmetsch-System erdacht. (Stammt wohl noch aus der Zeit von Österreich-Ungarn, als Tschechen, Slowenen, Italiener, Kroaten und noch viele andere Bürger die österreichische Bürokratie auf Trab hielten.)

Mein Vater hieß zum Beispiel Mauliang Chen. Am Telefon jedoch verwendete er immer seinen deutschen Namen aus der praktischen Automaten-Taufe. „... ja genau, den Namen schreibt man Martha Anton Ulrich Ludwig Ida Anton Norbert Gustav Cäsar Heinrich Emil Norbert, ... Wie? Nein nein, der Nachname beginnt bei Cäsar.“

Ich bin meinen Eltern jedenfalls unendlich dankbar für meinen echten, deutschen Namen. So toll die automatische Übersetzung auch ist, sie schenkten mir mehrere Monate zusätzlicher Lebenszeit, die ich sonst am Telefon verbracht hätte. Nur den standesgemäß kaiserlichen Cäsar-Teil, den behielt ich bei. Auf den bin ich stolz.

So da, alles geklärt? Weit gefehlt. Besonders hartnäckige Zeitgenossen geben sich nicht zufrieden und bohren weiter. Warum gerade Gottfried? Ist zwar deutsch, aber sicher zu K&K Zeiten das letzte Mal unter den Top Ten der deutschen Bubennamen gewesen.

Auch darauf ist die Antwort trivial: Mein Geburtstag ist am 9. Juli. Ok, vielleicht sollte ich das doch etwas näher erklären. Es gibt ja diese kleinen Scheckkarten-großen Kalender mit Namenstagen. So einen hatten meine Eltern vor meiner Geburt auch in die Hände bekommen.

Die beiden noch neu im Lande freuten sich über die praktische Erfindung. Diese Österreicher, die sind top organisiert, dachten sie. Klein, immer einen Kalender dabei, und bekommt man ein Kind, dann sieht man einfach am Tag der Geburt nach um den Namen des Kindes herauszufinden.

Das ganze beweist zwei Dinge. Erstens. Ich breche hier eine Lanze für die Astrologie, obwohl ich sonst nicht abergläubisch bin. Der Geburtszeitpunkt eines Menschen beeinflusst ihn wirklich für den Rest seines Lebens.

Zweitens. Ich bin ein enormes Glückskind. In dem Kalender gab es noch viel klingendere Namen wie Eustachius oder Hyazinth. Noch mehr Erklärungsbedarf hätte ich gehabt bei Valerie oder Lucia.

Aber kommen wir zum Abschluss der Fabel von 1001 Vornamen zum Super-GAU. Ich hätte auch 47 Tage nach Faschingsdienstag auf die Welt kommen können. Und ich bin sicher, die Neugier meiner Mitmenschen wäre zehnmal so groß, stellte ich mich vor mit „Grüß Gott, mein Name ist Chen, Ostersonntag Chen.“

(Noch schlimmer wäre nur „Heinrich Ludwig Drei Konrad Österreich Norbert Ida Gustav Emil“. Aber das hätte das Standesamt hoffentlich verhindert.)